Aufbau eines Potenzialpools für Nachwuchsführungskräfte im Unternehmen
Hier finden Sie wissenschaftlich fundierte Antworten auf häufig gestellte Fragen.
- 1Welche Herausforderungen stellen sich aus Sicht der Managementdiagnostik beim Aufbau eines Potenzialpools im Unternehmen?
Potenzialeinschätzungen und –analysen sind –analog zur Personalauswahl- immer eine Wahrscheinlichkeitsaussage in die Zukunft. Aus Verhaltensweisen und weiteren Informationen über den Mitarbeiter wird die Wahrscheinlichkeit bestimmt, dass dieser Mitarbeiter auch für eine „höhere“ Fach- oder Führungsfunktion geeignet ist, also über das entsprechende Potenzial verfügt. Dabei ist zu beachten, dass mit dieser neuen Funktion Anforderungen verbunden sind, die bisher u.U. noch gar nicht an den Mitarbeiter gestellt wurden. So ist z.B. der erfolgreichste Vertriebsmitarbeiter nicht unbedingt auch gleichzeitig eine gute Führungskraft. Bisher hatte er noch gar nicht die Aufgabe, Mitarbeiter zu führen, und konnte dies auch nicht unter Beweis stellen. Die Herausforderung, der sich die Personalentwicklung beim Aufbau eines Pools von Potenzialträgern stellen muss, ist es demnach, die Mitarbeiter zu identifizieren, die aller Wahrscheinlichkeit nach für Aufgaben geeignet sind, die sie heute noch gar nicht ausüben. Aus dem heutigen und vergangenen Verhalten werden Rückschlüsse gezogen, die eine Wahrscheinlichkeitsaussage in die Zukunft ermöglichen. Eine grundsätzliche Frage ist dabei, worauf sich die Erfolgswahrscheinlichkeit eigentlich stützt: Ist sie in der Person, in den Eigenschaften der Person begründet? Oder ist sie umgebungsabhängig? Spielen Verhaltensvariablen eine Rolle oder gibt es tatsächlich „stabile“ Persönlichkeitsmerkmale? Ist ein bestimmtes, derzeit nicht oder nur wenig ausgeprägtes Verhalten oder scheinbare Eigenschaft noch entwickelbar? In welchem Ausmaß? Unter welchen Voraussetzungen / in welcher Umgebung kann ein Mitarbeiter seine Talente und Fähigkeiten überhaupt zum Ausdruck bringen? Welche Rolle spielt die Eigenmotivation des Mitarbeiters? Und auch: Ist die Motivation des Mitarbeiters in der Person selbst, also intrinsisch, zu suchen und zu finden, oder ist nicht auch sie vielmehr abhängig von den o.g. Umgebungsvariablen? Bei allen diesen Fragen bewegt man sich in Wahrscheinlichkeitsbereichen. Ziel beim Aufbau eines Potenzialpools muss es demnach sein, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, die passenden Mitarbeiter zu identifizieren. Dazu gibt es eine Reihe von Tools und eine Menge an wissenschaftlicher Forschung zu diesem Thema.
- 2Kann ich den Führungserfolg einzelner Mitarbeit überhaupt voraussagen?
Interessant ist es, sich vorab grundsätzliche Überlegungen zur Determiniertheit von Verhalten und damit auch Führungsverhalten zu machen. Hinsichtlich der Forschung ist man sich heute einig, dass es keinen monokausalen Zusammenhang zwischen Eigenschaften und Führungserfolg gibt (aus Sarges Eignungsdiagnostik im Managementbereich, Managementdiagnostik (1994)):
- (1) Der Erfolg einer Organisation oder Organisationseinheit lässt sich nicht allein auf der Ebene individuellen Managerverhaltens festmachen
- (2) Verhalten – auch Managerverhalten – ist weniger bis kaum aus Persönlichkeitsmerkmalen allein erklärbar, als vielmehr aus den Gegebenheiten der Situation bzw. aus der Interaktion von Person und Situation.
- (3) Selbst wenn es persönlichkeitsbedingte Einflüsse eines Managers auf den Erfolg gibt, ist ein in einer bestimmten Position bzw. bestimmten Umfeld erfolgreicher Manager nicht notwendig in jeder anderen Position bzw. in jedem anderen Umfeld auch erfolgreich.
- (4) Schließlich wird „Erfolg“ nicht nur objektiv bestimmt.
Dennoch zeigt die Forschung einige konsistente Dispositionen genereller Art als Erfolgsfaktoren im Managementbereich. Einige Studien zur Validitätsgeneralisierung bzw. Metaanalysen über bestimmte Berufsfelder hinweg zeigen als erfolgsrelevante Faktoren v.a. Intelligenz, allgemeine Leistungsmotivation, soziale Kompetenz, Selbstvertrauen und Belastbarkeit (zusammenfassend Schuler & Funke, 1993). Darüber hinaus ist es interessant, sich bei dieser Fragestellung mit dem Passungsbegriff zu beschäftigen. Das organisationspsychologische Modell des ‚person-job-fit‘, des Zusammenpassens von Person und spezifischer Arbeitsumwelt, geht auf die in den 60er Jahren entwickelte Berufswahltheorie von Holland zurück. Für die Passung spielen zwei interagierende Beziehungen eine Rolle: (1) die Korrespondenz von Anforderungen der Situation und Fähigkeiten der Person sowie (2) die Korrespondenz von individuumsspezifischen Bedürfnissen und Möglichkeiten zu deren Befriedigung in der Arbeitssituation (Lofquist & Dawis, 1984). Danach sind Personen am produktivsten und zufriedensten in Arbeitsumwelten, die kongruent sind zu ihren Persönlichkeitsmerkmalen.
- 3Wofür brauche ich eigentlich ein Kompetenzmodell?
Mit der Frage nach möglichen Analyseinstrumenten stellt sich vorab die Frage nach den Kompetenzen und Anforderungen, die an Mitarbeiter in Führungspositionen gestellt werden. Und
damit verbunden auch die Frage nach Kontext, Werten und Zielen des Unternehmens. Hier sollte zunächst z.B. ein Kompetenzmodell entwickelt werden. Denn ich kann nur analysieren und messen und Aussagen über etwas treffen, was ich vorher definiert habe.
- 4Welche Verfahren sind wissenschaftlich untersucht und sollten beim Aufbau eines Potenzialpools zum Einsatz kommen?
Gut untersucht sind die Wirksamkeit von Assessment Centern, strukturierten Interviews und verschiedenen Testverfahren. Sie haben einen unterschiedlichen Fokus hinsichtlich dessen, was Sie messen, ob sie primär „stabile“ Persönlichkeitseigenschaften messen, wie. z.B. Intelligenz- oder Persönlichkeitstests, oder ob sie stärker auf das Verhalten des Mitarbeiters fokussieren, wie es z.B. Assessment Center tun. Mit der Frage nach möglichen Analyseinstrumenten stellt sich vorab die Frage nach den Kompetenzen und Anforderungen, die an Mitarbeiter in Führungspositionen gestellt werden. Und damit verbunden auch die Frage nach Kontext, Werten und Zielen des Unternehmens. Hier sollte zunächst z.B. ein Kompetenzmodell entwickelt werden. Denn ich kann nur analysieren und messen
Bei der Potenzialanalyse sollten auch Tools zum Einsatz kommen, die das zukünftig geforderte Verhalten in einem bestimmten Kontext in irgendeiner Form simulieren, seien es z.B. strukturierte Interviews oder Assessment Center. Diese beiden Tools verfügen über eine relativ hohe Validität, wenngleich gerade beim Assessment Center angemerkt werden muss, dass die Validität abhängig von der fachgerechten Entwicklung und Durchführung ist (vgl. Schuler 2007). Mittlerweile wurde auch eine DIN-Norm für Personalauswahlverfahren entwickelt, an der man sich als PA-/PE- Verantwortlicher orientieren kann, um die Güte von Auswahlverfahren einschätzen zu können (vgl. Kersting 2004). Ein Methodenmix steigert die Wahrscheinlichkeit, die „richtigen“ Mitarbeiter für den Potenzialpool zu finden. Denkbar ist z.B. ein Mix aus Vorgesetztenempfehlung, Entwicklungsgespräch, Karriereseminar und Assessment Center oder strukturiertem Interview.
- 5Wie kann ich im Unternehmen bei den Beteiligten Glaubwürdigkeit und Akzeptanz für den Auswahlprozess des Potenzialpools schaffen?
Wenn man einen Potenzialpool aufbaut und sich verschiedener Analyseinstrumente bedient, sollte man vorab überlegen, ob man diese Instrumente zur Auswahl oder zur Entwicklung des Mitarbeiters nutzen möchte. Viele Unternehmen bilden zunächst ein Pool aufgrund von Vorgesetztenempfehlungen, führen dann zu Beginn des Entwicklungsprogramms ein sogenanntes Development Center nach der Assessment Center Methode durch, um ein Stärken-Schwächen-Profil der Mitarbeiter zu bestimmen, und sind dann erschrocken darüber, dass viele Mitarbeiter in diesem Development Center „schlecht“ hinsichtlich der Führungsmerkmale abschneiden. Mitarbeiter und Unternehmen sind nun in einem Dilemma: Eine Person wird gefördert, die im Development Center kaum Führungskompetenz gezeigt hat. Ist diese Person nun wirklich so „schlecht“? Investiert das Unternehmen überhaupt in die „richtigen“ Mitarbeiter? Auch der Mitarbeiter ist verunsichert. „Kann ich das überhaupt?“ „Ist das das richtige für mich?“ Diese Fragen sollten vorab geklärt werden, bevor Mitarbeiter in ein Förderprogramm, das ja häufig mit einem Potenzialpool verbunden ist, aufgenommen werden. Ein Auswahlverfahren sollte klar, offen und transparent für alle Mitarbeiter und Bewerber ein Auswahlverfahren sein, mit gleichen, transparenten Bedingungen für alle Bewerber, interne wie externe. Und ein Entwicklungsverfahren sollte tatsächlich ein reines Entwicklungsverfahren sein, das Talente und Entwicklungsfelder unter bestimmten Kontextbedingungen konkretisiert. Egal welche Analysemethode gewählt wird, Offenheit und Transparenz für alle Beteiligten spielen eine entscheidende Rolle, um Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der gewählten Methoden zu sichern.
- 6Welche Aufgabe kommt der Personalentwicklung beim Aufbau eines Potenzialpools zu?
Aufgabe der Personalentwicklung ist es nun, Tools auszuwählen und besser noch organisationsspezifisch zu entwickeln, die sowohl die Arbeitsumwelten und Anforderungen der Organisation abbilden als auch Aufschluss über Persönlichkeit, Verhalten und Motivation der Bewerber geben. Das leistet kein Tool alleine, daher liegen die Einzelvaliditäten einzelner Tools häufig auch nur in einem wenig zufriedenstellenden Bereich (siehe Tabelle S. 6). Interessant und valider ist es, einen Methodenmix zu entwickeln. Studien zeigen z.B., dass sich die Validität von Assessment Centern durch den Einsatz von mulitmodalen Verfahren je nach gewähltem Referenzwert bis zu einer 6,5-fachen Prognosequalität steigern lässt (Thornton et al. 1987, oder Hardison & Sackett, 2007). Darüber hinaus ist zu überlegen, ob man rein „diagnostisch“ vorgehen möchte, sich als Unternehmen oder Personalentwicklung oder als Berater selbst ein diagnostisches
Urteil aus verschiedenen Datenquellen über die Eignung bildet, oder ob man nicht vielmehr für den Mitarbeiter selbst Möglichkeiten schafft, sich Transparenz über seine eigenen Fähigkeiten, Motive und leistungsfördernden Rahmenbedingungen zu schaffen, z.B. in Form von Entwicklungsgesprächen und / oder Karriere- / Entwicklungsseminaren. Ich bin der Überzeugung, dass ein Mix aus verschiedenen Tools und Methoden die Wahrscheinlichkeit entscheidend erhöht, die „richtigen“ Mitarbeiter für einen Potenzialpool auszuwählen, die dann wiederum durch passendende Entwicklungsmaßnahmen in ihren Fähigkeiten und Talenten noch weiter gefördert werden können.
- 7Was sind valide Indikatoren für eine Potenzialidentifizierung von Führungskräften?
Grundsätzlich sind es unterschiedliche Indikatoren, die zu einer Potenzialidentifizierung herangezogen werden können. Wichtig ist es jedoch auch, festzuhalten, was weniger geeignet für eine Potenzialidentifizierung von Führungskräften ist, nämlich eine Beschreibung des Erfolgs in der derzeitigen Aufgabe, die entweder frei von Führungsaufgaben ist, oder die Führung in einem eng begrenzten Rahmen abbildet, der mit weiterführenden Führungsaufgaben nur wenig bis gar nichts zu tun hat. So ist z.B. Erfolg im Vertrieb kein Indikator für Führungserfolg. Und es ist noch lange nicht gesagt, dass ein guter Teamleiter eines kleinen, harmonischen, intrinsisch motivierten Teams auch eine gute Führungskraft auf einer höheren Führungsebene ist, bei der ein hoher Umsatzdruck herrscht und ein „schwieriges“ Team zu führen ist. Diese Beispiele lassen sich beliebig erweitern, und der Unternehmensalltag bringt auch häufig solche Beispiele zutage. Welche Indikatoren gibt es dann? Da sowohl persönliche Eigenschaften als auch die Situation und die Passung von Organisation und Individuum, Aufgabe und Motivation des Mitarbeiters entscheidend für den Erfolg sind, sollte man nach folgenden Indikatoren suchen:
- Zeigt Mitarbeiter überhaupt eine Führungsmotivation oder eine Motivation für eine bestimmte Fachkarriere?
- Welchen Eindruck hat der Vorgesetzte von den Fähigkeiten seines Mitarbeiters?
- Wohin will sich ein Mitarbeiter überhaupt entwickeln, was motiviert ihn, was sind seineTalente, unter welchen Bedingungen kann er sie einsetzen und weiterentwickeln?
- Welche Fähigkeiten demonstriert er in seiner täglichen Arbeit?
- Und welche Fähigkeiten konnte er vielleicht noch gar nicht zeigen? (D.h., hier sollten Toolszum Einsatz kommen, die Aufschluss über diese Fähigkeiten bringen können).
Diese möglichen Indikatoren zeigen, dass es nicht nur dem Vorgesetzten alleine vorbehalten sein sollte, einen Mitarbeiter für einen Führungspool vorzuschlagen. Dieser hat häufig nur die Perspektive der derzeitigen Aufgabe im derzeitigen Umfeld. Sicher ist sein Eindruck interessant und wichtig, aber nicht alleinentscheidend. Was möchte der Mitarbeiter überhaupt? Und wozu ist er tatsächlich fähig oder nicht fähig? Unter welchen Bedingungen ist er das? Hierüber sollten unterschiedliche PE-Instrumente Auskunft geben und den Ausschlag für oder gegen eine Aufnahme in einen Potenzialpool geben. Insbesondere ist dabei auch an Instrumente zu denken, die Verhalten und / oder Fähigkeiten erfassen / beschreiben, für die es für den Mitarbeiter bisher noch gar keine Möglichkeit gab, diese zu zeigen.
- 8Wie wichtig sind Lernpotenzial und Selbstreflexion von Mitarbeitern bei der Prognose von Führungserfolg?
Lernpotenzial und Selbstreflexion sind Schlüsselkompetenzen erfolgreicher Führungskräfte. Das ökologische Gesetz, dass eine Spezies nur überleben kann, wenn sie mindestens so schnell lernt, wie sich ihre Umwelt verändert, findet sich auch in Unternehmen bestätigt. Führungserfolg in einer sich schnell verändernden Welt erfordert heute mehr denn je Geschicklichkeit und Geschwindigkeit in der Anpassung an den Markt und an technische Innovationen. Diese Anpassungsfähigkeit ist umso größer, je stärker eine Organisation in der Lage ist, zu lernen. Und eine lernende Organisation ist ohne Lernpotenzial (nach Sarges (2000) als Fähigkeit und Willigkeit zu lernen) und Selbstreflexion ihrer Mitarbeiter und Führungskräfte undenkbar.
- 9Wie hoch muss die eigene Führungsmotivation beim Mitarbeiter ausgeprägt sein?
Wenn Sie Potenzialträger in Ihrem Unternehmen suchen, dann suchen Sie unbedingt nach Mitarbeitern, die eine hohe intrinsische Führungsmotivation haben. Diese Führungsmotivation sollte weniger durch Machtbedürfnisse gekennzeichnet sein, als vielmehr durch eine hohe Leistungsmotivation, eine hohe Gestaltungsmotivation und dem Willen, Mitarbeiter zu steuern und mit diesen gemeinsam Unternehmensziele zu erreichen. Aufschluss über unterschiedliche Führungsmotive bietet z.B. das von Felfe, Elprane, Gatzka und Stiehl entwickelte Hamburger Führungsmotivationsinventar, das sich im Rahmen einer Potenzialanalyse einsetzen lässt.
- 10Welche Schlüsse lassen sich aus der Berufserfahrung ziehen?
Die Berufserfahrung im eigenen Unternehmen ist sicherlich ein interessanter Indikator. Hier gibt es viele interne Schnittstellen, die das Bild über einen Mitarbeiter abrunden. Letztendlich ist diese Frage jedoch sehr allgemein und müsste konkretisiert werden: Wofür wird die Berufserfahrung benötigt, was ist die Zielposition? Erst dann lässt sich sagen, welche Schlüsse sich aus der Berufserfahrung ziehen lassen. Vielleicht ist der Bewerber ein Experte für ein bestimmtes Gebiet, für das diese Expertise notwendig ist? Oder sind eher „Schlüsselqualifikationen“ wie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gefragt? Diese Frage lässt sich daher nicht pauschal beantworten, da sie zu abhängig von der Zielposition ist. Berufserfahrung ist für Führung sicherlich zum großen Teil unabdingbar, wie viel davon notwendig ist, hängt sowohl von der Zielposition ab als auch von dem, was der Bewerber als Person an Talenten und Motivation mitbringt. Und nicht zu vergessen sind auch hier wieder die Rahmenbedingungen. Unter bestimmten Bedingungen kann ein Mitarbeiter gute Leistung zeigen, unter anderen Bedingungen nicht. Auch diese gilt es, z.B. im persönlichen Gespräch, zu identifizieren.
- 11Ist Führungserfahrung ein Indikator für Führungserfolg?
Bereits vorhandene Führungserfahrung spielt lt. neueren Untersuchungen bei der Vorhersage für Führungserfolg nur eine untergeordnete Rolle. Der Wirtschaftspsychologen Uwe Kanning hat in einer aktuellen Studie Potentialanalysen von 814 Mitarbeitern eines großen deutschen Unternehmens untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass Führungserfahrung kein maßgebliches Kriterium sein darf, wenn ein Unternehmen eine neue Führungskraft sucht. Aus seiner Sicht ist es nicht sinnvoll zu sagen, wer schon mal geführt hat, der beherrscht das auch.“ Kannings Studie bestätigt die Ergebnisse einer amerikanischen Meta-Analyse aus den neunziger Jahren. Die Forscher hatten mehrere Studien betrachtet, in denen sie das Verhältnis von Erfahrung und Leistung untersuchten. Auch sie waren zu dem Ergebnis gekommen, dass Sätze wie „Da können Sie mir vertrauen, ich mach‘ den Job schon ewig“ nichts anderes als Phrasen sind.
- 12Inwieweit sind Schulnoten relevant?
Für die Besetzung von weiterführenden Positionen im Unternehmen sollten Schulnoten eigentlich keine Rolle mehr spielen. Ein berufserfahrener Mitarbeiter ist u.U. eine ganz andere Persönlichkeit mit einer ganz anderen Motivationsstruktur geworden als er noch als Schüler war. Zu unterschiedlich sind auch die Umgebungen „Schule“ und „Arbeitsplatz“. Schlechte Schüler können später durchaus überaus erfolgreiche Mitarbeiter und Führungskräfte werden, dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Es sind im Arbeitsleben teilweise völlig unterschiedliche Fähigkeiten gefragt als in der Schule, und auch „Leistung“ bedeutet z.B. im Vertrieb etwas anderes als im Mathematikunterricht. Auch haben bei den Schulnoten Elternhaus, Lehrer, Schule, Mitschüler, Lebensphase etc. großen Einfluss, die im Beruf keine Relevanz mehr haben. Hier lassen sich als Indikator bei der Auswahl von Auszubildenden noch Rückschlüsse ziehen, weil man hier kaum andere Indikatoren hat. Mit zunehmender Berufserfahrung werden Schulnoten aber immer unwichtiger bis bedeutungslos.
- 13Ist Intelligenz ein valider Prädikator für Führungserfolg?
Unbeliebt, aber immer wieder wissenschaftlich bestätigt: Intelligenztests leisteten eine relativ valide Vorhersage auf den Berufserfolg und damit auch auf den Erfolg von Führungskräften. In der Tat zeigen Studien zur Validität von Intelligenztests (z.B. Schmidt & Hunter, 1981) erstaunlich hohe prognostische Validitäten (s. Tabelle S. 6). Das lässt sich sicher auch dadurch erklären, dass ein gewisses Maß an Intelligenz durchaus hilfreich ist, egal, was man tut. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Intelligenztests, die allerdings immer eng mit dem jeweiligen Intelligenzkonstrukt verbunden sind, für das zu messen sie entwickelt worden sind. Und da liegt auch schon das Problem, denn sie sind nicht dafür entwickelt worden, Berufs- oder Managementerfolg vorauszusagen. Intelligenz ist ein hypothetisches Konstrukt, und es ist weitausmehr, als Intelligenztests messen. Ein Intelligenztest misst immer nur einen Aspekt von Intelligenz. Dennoch: . Intelligenztests sagen zuverlässig voraus, wie lernfähig ein Mensch ist – und Lernfähigkeit ist mehr als Erfahrung ein zuverlässiger Indikator für Führungserfolg! Um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: „Lass dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: „Lieber Freund, das mache ich schon seit 20 Jahren so.!“ Man kann eine Sache auch 20 Jahre lang falsch machen.
- 14Kann man Persönlichkeitstests in der Managementdiagnostik einsetzen?
Denkbar als mögliches Tool der Managementdiagnostik ist der Einsatz von berufsbezogenen Persönlichkeitstests. Berufsbezogene Persönlichkeitstests sind Fragebogenverfahren, die auf Basis
einer Selbsteinschätzung eine mehrdimensionale Persönlichkeitsbeschreibung in Bezug auf berufsbezogene Merkmale ermöglichen. Auf dem Markt findet sich hier z.B. der BIP, das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung. Als alleiniges Analysetool ist ein solcher Test sicher ungeeignet, als Baustein kann er jedoch durchaus hilfreich sein. Eine gute Übersicht über die gängigen Persönlichkeitstests bietet das Buch Personalauswahl und –entwicklung mit Persönlichkeitstest von R. Hossiep und O. Mühlhaus).
- 15Welche Methodik/Vorgehensweisen nutzen andere Unternehmen zur Potenzialidentifizierung?
Weit verbreitet sind nach wie vor Assessment Center, ebenso auch Interviewverfahren, und sehr häufig kommen unterschiedliche Methoden parallel zum Einsatz. Neben diesen konkreten Analysetools spielen aber auch Beurteilungen, z.B. durch Vorgesetzte, als auch 360°-Befragungen oder Mitarbeiterbefragungen eine wichtige und verbreitete Rolle bei der Identifizierung von Potenzialen im Unternehmen. Sehr verbreitet sind meiner Erfahrung nach Mitarbeiter- und Entwicklungsgespräche, in denen Interessen und Entwicklungsabsichten und –wünsche Eingang finden. Häufig muss ein Mitarbeiter jedoch tatsächlich ein Auswahlverfahren erfolgreich bestehen, um in einen Führungs-(nachwuchs)pool aufgenommen zu werden. Diese Hürde bietet Vor- und Nachteile für das Unternehmen. Der Vorteil liegt darin, dass die Voraussetzungen für alle transparent und gleich sind, und damit eine Chancengleichheit für alle im Unternehmen besteht. Der Nachteil liegt darin, dass Auswahlverfahren eben nur Wahrscheinlichkeitsaussagen ermöglichen. Man wird immer wieder auch Mitarbeiter ablehnen, die durchaus Potenzial haben. Aufgrund der Konstruktion von z.B. Assessment Centern wird man allerdings mit einem Auswahlverfahren seltener Mitarbeiter für den Pool empfehlen, die nicht geeignet sind, da ein solches Verfahren eher Defizite offen legt und die Gefahr eher darin liegt, schlummernde Potenziale nicht zu erkennen. Damit verbunden ist auch die Verliererproblematik: Mitarbeiter, die ein internes Auswahlverfahren nicht bestehen, sind häufig demotiviert und verlassen unter Umständen nach gewisser Zeit das Unternehmen. Hier sollte man Kosten und Nutzen sorgfältig abwägen.
- 16Wie verbreitet sind Assessment Center?
Aufschluss über die Verbreitung von Assessment-Centern bietet eine 2008 in Deutschland durchgeführte Studie des Arbeitskreises Assessment Center (AC-Studie 2008):
- Untersuchungsgrundlage bildete die Befragung von allen Dax-100 Unternehmen (91 nahmen an der Befragung teil) und weiteren Unternehmen aller Branchen und Größen (N=233)
- Ergebnisse: 71% der Dax-Unternehmen und 73% aller befragten Firmen setzen ACs oder DCs (interne Development Center) ein.
- 59% der Befragten glauben, dass die Zahl der Assessments in Zukunft eher zunehmen wird.
- Energiekonzerne und Banken gehören zu den Top-Anwendern.
- Je größer das Unternehmen, desto eher setzt es ACs ein.
- Nur noch ein Drittel der ACs sind der Personalauswahl gewidmet, zwei Drittel dienender Potenzialanalyse und Entwicklung.
- 88% der AC-Anwender schicken ihre Fach- und Führungskräfte durch interneVerfahren, z.B. um Führungspositionen zu besetzen.
- 17Welche wissenschaftliche Literatur gibt es zu diesem Thema?
- Die Liste der wissenschaftlichen Literatur zu diesem Thema ist beinahe unendlich lang. Im Folgenden einige Literaturempfehlungen, die ich als Quelle für die Beantwortungen der FAQs genutzt habe:Hardison, C. M. & Sackett, P. R. (2007). Kriteriumsbezogene Validität des Assessment Centers: lebendig und wohlauf? In H. Schuler (Hrsg.), Assessment Center zur Potenzialanalyse (S. 192– 202). Göttingen: Hogrefe.Hossiep, R., Mühlhaus, O. (2005). Personalauswahl und –entwicklung mit Persönlichkeitestests. Göttingen: Hogrefe.Kanning, U. P. & Fricke, P. (2013). Führungserfahrung: Wie nützlich ist sie wirklich? Personalführung, 1/2013, 48-53Kersting, M. (2004). Qualitätssicherung und –verbesserung: Zur Überprüfung der Gültigkeit berufsbezogener Eignungsbeurteilungen. In L.F. Hornke & U. Winterfeld (Hrsg.), Eignungsbeurteilung auf dem Prüfstand: DIN 3340 zur Qualitätssicherung (S. 103 – 128). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.Lofquist, L.H. & Dawis, R.V. (1984). A psychological theory of work adjustment. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Sarges, W. (2000). Diagnose von Managementpotenzial für eine sich immer schneller und unvorhersehbarer ändernde Wirtschaftswelt. In L. v. Rosenstiel und T. Lang-von Wins (Hrsg.), Perspektiven der Potenzialbeurteilung (S. 107 – 128). Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.
Sarges, W. (Hrsg.) (1995). Managementdiagnostik. Göttingen: Hogrefe.
Schmidt, F.L. & Hunter, J.E. (1981). Employment testing. Old theories and new research findings.American Psychologist, 36, 1128-1137.
Schuler, H. (Hrsg.) (2007). Assessment Center zur Potenzialanalyse. Göttingen: Hogrefe.
Schuler, H. (2007). Spielwiese für Laien? Weshalb das Assessment Center seinem Ruf nicht mehr gerecht wird. Wirtschaftspsychologie aktuell 2/2007, S. 27-30.
Schuler, H. & Funke, U. (1993). Diagnose beruflicher Eignung und Leistung. In H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch Organisationspsychologie S. 235-283). Bern: Huber.
Thornton III, G. C., Gaugler, B., Rosenthal, D. B. & Bentson, C. (1987). Die prädiktive Validität des Assessment Centers – eine Metaanalyse. In H. Schuler & W. Stehle (Hrsg.), Assessment Center als Methode der Personalentwicklung (S. 36–60). Göttingen: Verlag für Angewandte Psychologie.
Sie möchten diese Informationen als pdf-Dokument erhalten? Nehmen Sie hier Kontakt mit mir auf.